- Julia Rossa
Warum Accessible Design? Oder: Wie Du mit deinem Unternehmen Brücken baust.
Hand aufs Herz.

Wie groß sind Deine bisherigen Berührungspunkte mit dem Thema Barrierefreiheit? Wenn Du Dich bislang noch nicht oder nur wenig damit beschäftigt hast, fühlt es sich womöglich wie ein großes, undurchdringliches schwarzes Loch mit vielen gesetzlichen Vorschriften, immensem Aufwand und hohen Kosten an. Eventuell denkst Du auch, dass Dein Business nicht für Menschen mit Behinderung geeignet ist … und klar, vielleicht stellst Du Dir auch insgeheim die Frage, ob sich der ganze Aufwand für einige wenige überhaupt lohnt. Keine Sorge, das ist menschlich. 😊
Nix da „Randgruppe“.
Hier ist meine Antwort darauf: Ja, es lohnt sich immer!
Und ich weiche keinen Millimeter von dieser Aussage ab, denn ungefähr 15 % der Menschen – also jede 7. Person – hat irgendeine Form von Behinderung, außerdem wünschen sich mehr als 30% der Bevölkerung gut gestaltete, barrierefreie Inhalte (beispielsweise die ältere Generation) und das sind dann doch gar nicht mehr so wenige. 😉

Einschränkungen können von Geburt an auftreten, durch äußere Umstände in Erscheinung treten oder aber auch erst im Alter auftauchen – die Ursachen und Gründe sind so unterschiedlich wie die Personen, die sie haben. Eine Behinderung sagt im Allgemeinen aber noch gar nichts über die Persönlichkeit, Stärken oder Schwächen aus.
So ist es nicht verwunderlich, dass etwa Blinde auch gerne malen oder Taube sich die Nachrichten ansehen. Der uneingeschränkte, selbstbestimmte und gleichberechtigte Zugriff über alle Medien hinweg ist dabei das „große Geheimnis“. Lass mich bei den beiden (fiktiven) Beispielen bleiben und sie etwas ausführen:
Ein altbekannter, expressionistischer Berliner Künstler
... verliert mit den Jahren immer mehr an Sehkraft, die Brillen taugen inzwischen auch nicht mehr so recht. Trotzdem wird er nicht aufhören, seinen Lebenstraum nachzugehen. Er kennt und liebt die Farben, deren Wirkungen und möchte seine Gefühle weiterhin auf Leinwänden zum Ausdruck bringen. Dafür möchte er wie gewohnt seine Leinwände, Farbtuben und Pinsel beim lokalen Onlineshop seines Vertrauens bestellen. Zur Vernissage, in der seine Werke präsentiert werden, fährt er mit den Öffis. Worauf ist er beispielsweise angewiesen?
Der Onlineshop muss übersichtlich strukturiert sein, alle Bilder sollten mit Alt-Texten versehen sein, denn die lässt er sich gerne vom PC ausgeben. Die Schrift kann er nach Bedarf vergrößern. Es gibt keine versteckten oder übersehbaren Buttons und das „Kleingedruckte“ hat ausreichend Kontrast zum Hintergrund.
Die Farbtuben sind möglicherweise aus Metall und könnten durch Stanzungen mit Brailleschrift versehen werden. So erkennt er auch in der Dämmerung die unterschiedlichen Farben wieder.
Auf dem Bahnhof müssen Fahrplanänderungen (z. B. Gleiswechsel oder Ausfälle) rechtzeitig und über verschiedene Wege (deutliche Lautsprecherdurchsagen, übersichtliche Anzeigetafel, App-Notification etc.) kommuniziert werden, sodass er genügend Zeit hat, sich zu orientieren und zu reagieren.

Auch die frische gebackene Abiturientin,
... die von Geburt an gehörlos ist, interessiert sich für die aktuelle Lage auf der Welt. Sie möchte Investigativjournalismus studieren und sich nach der Schule für die Rechte der Frauen einsetzen. Und worauf ist sie nun beispielsweise angewiesen?
Alle öffentlichen Nachrichtensendungen sollten ausnahmslos mit Untertitel versehen oder mit einem Gebärdendolmetscher ausgestattet sein. Dies bezieht sich nicht nur auf die vermeintlich interessanten News, sondern auf alle. Denn was interessant ist, kann jeder für sich selbst entscheiden.
Auch die sozialen Medien sind ausreichend mit barrierefreien Funktionen bestückt, sodass Sie sich jederzeit den Untertitel bei den Videos ihrer Lieblingsaktivisten oder anderer Journalisten dazu schalten und ggf. bei Unterbrechungen auch jederzeit pausieren kann.
Wichtige Signale in der Schule (wie etwa die Pausenglocke oder der Feueralarm), sollten nicht ausschließlich akustisch ausgegeben werden. Deckenleuchten, die auf bestimmte Weise rhythmisch blinken, sind denkbar.
In der Schule sollten die digitalen Möglichkeiten so gut ausgebaut sein, dass im Falle eines weiteren Lockdowns der Unterricht via Videoübertragung fortgesetzt werden kann. Die Lehrkraft sollte der Gebärdensprache mächtig sein.
Klar wie Kloßbrühe.
Wie den beiden geht es Millionen Deutschen. Sie haben körperliche Behinderungen, Sinnesbehinderungen (z. B. Blindheit, Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit oder Taubblindheit), Sprachbehinderungen, seelische oder geistige Behinderungen, Lernbehinderungen oder altersbedingte Behinderungen und jeder von ihnen hat das Recht, ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu sein. Der Wert einer Gesellschaft zeigt sich im gegenseitigen Umgang miteinander.

Das Gute ist, heutzutage existieren für nahezu alle erdenklichen Situationen entsprechende Hilfstechnologien – man nennt sie „Information and Communication Technology“ (ICT) und sie entwickeln sich stetig weiter. Sie fungieren quasi als „Übersetzer“ und erleichtern unseren Alltag. Doch Sie können die Inhalte (aktuell) nur so gut widerspiegeln, wie er von den Erstellenden vorgegeben wird. Übrigens: Auch wenn Du keine bekannte Behinderung hast, so nutzt selbst Du solche Technologien ziemlich wahrscheinlich auch! Bestimmt hast Du schon mal Amazons Alexa etwas gefragt oder um eine Ausführung gebeten (z. B. Licht einschalten). Oder hast Du bei Deinem E-Book-Reader die Schriftart schon mal geändert, weil die andere besser lesbar war? 😉
Auch im Printbereich gibt es so viele Möglichkeiten und Stellschrauben, dass es fast zu einfach klingt, um wahr zu sein. Einen regenbogenfarbenen Text nicht auf ein Foto mit bunten Luftballons zu setzen, das wäre eine Möglichkeit. Denn die Wahrheit ist, dass die meisten Menschen es mögen, wenn ein Text gut lesbar ist. 😄 Taktile Lagepläne, interaktive Ausstellungen, Bücher mit Braille-Schrift oder Publikationen mit zusätzlicher zugänglicher digitaler Version sind weitere Beispiele … alles machbar, alles möglich! Und für alle Bereiche (Web, Print, öffentlicher Raum …) gibt es Expert:innen die Dir wirklich gerne unter die Arme greifen – ich zum Beispiel.
Wie Du merkst, geht es bei barrierefreier Gestaltung nicht ausschließlich um Behinderungen, sondern um gleichberechtigte Teilhabe und genereller Zugänglichkeit. Jeder Einzelne profitiert davon. Aus diesem Grund sollte es für uns als Anbietende von Produkten oder Dienstleistungen in unserem eigenen Interesse sein, die Qualität unseres Angebots auf allen Ebenen so optimal wie möglich zu gestalten und niemanden in seinen/ihren Vorhaben und Interessen zu behindern. Dabei ist es häufig gar nicht notwendig (oder möglich), eine 100%ige Barrierefreiheit zu erreichen. So viele Hürden wie möglich abzubauen und stattdessen zwischenmenschliche Brücken zu bauen, hilft oft schon mehr als gar nichts zu ändern.
Täglich grüßt das Murmeltier.
Barrierefreiheit hat einen maßgeblichen Einfluss auf alle Bereiche der Gesellschaft, jedoch ist der Stellenwert noch lange nicht so hoch, wie es wünschenswert wäre.
Egal ob beim Amt, im Museum, beim Arztbesuch, im Büro, bei Freizeiteinrichtungen, im Straßenverkehr oder einfach im Internet – immer wieder stoßen Menschen mit und ohne Behinderung auf Barrieren, die gut und einfach vermeidbar wären. So kann die Schrift auf einem Beipackzettel eines Medikaments zu klein, der Aufbau einer Website völlig unübersichtlich oder die Behindertentoilette nicht ohne extra Schlüssel frei nutzbar sein. Wer sich schon mal das Bein gebrochen hat und dann in den dritten Stock musste, hat sich sicherlich einen Fahrstuhl herbeigewünscht und vermutlich kennt auch jeder diese überfrachteten Flyer für das nächste Mega-Dorf-Event, auf dem scheinbar nicht genug Bilder und Schriftarten verwendet werden konnten.
Jeder von uns kennt eben jemanden, der im Alltag auf die immer gleichen unnötigen Hürden stößt oder ist sogar selbst betroffen. Da kann man schon mal ordentlich mit den Augen rollen!

Einspruch! – Abgelehnt.
Gesetzlich betrachtet sind öffentliche Institutionen und Ämter schon seit einiger Zeit verpflichtet, ihre Inhalte, Angebote und Publikationen zugänglich aufzubereiten. Wenn Dich Details interessieren, lies doch gerne mal hier rein. Ab 2025 wird ein ähnliches Gesetz auch auf Dienstleister:innen und Händler:innen zukommen. (Aktuelle Infos dazu findest Du hier.)
Aktuell haben wir hier häufig noch ein Schaf im Wolfspelz vor uns. Denn einige Gesetzespunkte sind so schwammig formuliert, dass sie gerne auch mal – natürlich inoffiziell – als Vorwand und willkommene Begründung fürs Nichthandeln genutzt werden. Denn wer hat schon die Zeit … und wer ist denn überhaupt zuständig dafür … und ich habe ja sowieso viel zu viel zu tun … Solche oder so ähnliche Aussagen sind leidige Showstopper, die eine inklusive Gestaltung erheblich erschweren – auf Kosten vieler.
Dabei können mache Prozesse durch das frühzeitige Mitdenken der Barrierefreiheit sogar optimiert und der zeitliche Aufwand durch richtige Handlungen minimiert werden. Ein paar Tipps werde ich Dir im nächsten Blogbeitrag mit auf den Weg geben.
Meiner Meinung nach gibt es keine Ausreden für inklusive Gestaltung, denn die Möglichkeiten sind aktuell so vielfältig wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit und mal ehrlich, niemand möchte sich die furchtbaren Wörter „Ausgrenzung“ und „Diskriminierung“ auf die eigene Fahne schreiben müssen.
Doppelt hält besser.
Wie sieht’s aus? Lass Dir nach diesem Beitrag Deine Bedenken doch noch ein weiteres Mal durch den Kopf gehen. Wie wäre denn jetzt Deine Antwort auf die Frage „Ist es das überhaupt wert?“
Denke dabei an Deine Eltern, Großeltern, Kinder, Nachbarn, Freunde, Kollegen und Kunden. Sind sie es nicht alle wert?! 💖
Aber hey! Wenn Du Dir noch immer unsicher bist, ob Du etwas ändern solltest oder was Du überhaupt tun kannst, dann kontaktiere mich doch einfach. Ich berate dich gerne und wirklich niemand verlangt, dass Du alles allein stemmen musst.
